Da ich ursprünglich aus den Niederlanden komme und an der Royal School of Needlework in London die Goldstickerei gelernt habe, war ich bis vor ein paar Jahren nicht sehr vertraut mit all den mittelalterlichen Goldstickereien, die in Deutschland überliefert sind. Es gibt eine Menge davon! Aber leider wird fast immer auf Deutsch veröffentlicht. Nicht sehr zugänglich für die weltweite Stickgemeinschaft oder gar Stickereiforscher von außerhalb Deutschlands. Die deutsche Stickgemeinschaft ist eher klein und interessiert sich vor allem für Kreuzstich und Weißstickerei. Ich bin daher manchmal etwas ratlos, für wen diese großartigen deutschen Publikationen eigentlich geschrieben wurden. Sie sind oft voller technischer Details. Dinge, die Macher wissen wollen, nicht unbedingt ein durchschnittlicher Archäologe oder (Kunst-)Historiker. Im vergangenen Jahr habe ich eine weitere dieser brillanten Publikationen über die Textilfunde aus den Kaiser- und Bischofsgräbern des Speyerer Doms entdeckt. Lassen Sie mich Ihnen einige ziemlich erstaunliche Stücke vorstellen! Erstens haben wir den Mantel von Philipp von Schwaben (1177-1208), der im letzten Viertel des 12. oder frühen 13. Jahrhunderts angefertigt wurde. Darauf befinden sich zwei Medaillons mit Goldstickereien. Das eine zeigt Christus, das andere Maria. Der Mantelstoff und wahrscheinlich auch die Stickereien stammen aus Byzanz. Philipp hatte Irene Angelina (1181-1208) geheiratet, eine Tochter des byzantinischen Kaisers Isaak II. Angelos (1156-1204). So hatte er leichten Zugang zu Textilprodukten aus Byzanz. Die Stickerei ist auf einem Stück feinem Samit mit Seiden- und Goldfäden ausgeführt. Die Goldstickerei ist mit etwa 40 parallelen Fäden pro Zentimeter recht fein. Interessanterweise sind die Goldfäden in Anlegetechnik gestickt, abgesehen von den Umkehrstellen. Diese erfolgten in Anlegetechnik mit versenktem Haftfaden (z.B. auch so im Bamberger Reitermantel (DMB Inv.Nr. 3.3.0003)). Jahrelang entging mir diese Kombination aus Anlegetechnik und Anlegetechnik mit versenktem Haftfaden. Warum haben die das getan? Als es kürzlich in einer Diskussion mit Cindy Jackson zur Sprache kam, kam sie sofort mit einer vollkommen logischen Erklärung: Die Umkehrstellen sind ordentlicher/einfacher. Daran hatte ich nie gedacht. Obwohl ich weiß, dass viele Leute Schwierigkeiten haben, ordentliche Umkehrstellen zu machen, fand ich sie nie schwer oder entmutigend. Wenn Sie aber versuchen den seidenen Haftfaden zu versenken, besteht die Gefahr, dass der Faden bricht. Ich verstehe jedoch vollkommen, dass es wahrscheinlich das Risiko wert ist, wenn die Umkehrstellen nicht Ihre Stärke sind. Rätsel gelöst! Ein weiterer spektakulärer Fund ist ein Paar bischöfliche Socken aus einem der Bischofsgräber. Die Stickerei ist komplett in Anlegetechnik mit versenktem Haftfaden ausgeführt. Daher wurden diese Luxussocken möglicherweise um das Jahr 1200 in England hergestellt. Wie wir jedoch im zeitgenössischen Mantel Philipps von Schwaben gesehen haben, wurde die Anlegetechnik mit versenktem Haftfaden keineswegs ausschließlich in England praktiziert. Mein Bauchgefühl ist, dass Anlegetechnik mit versenktem Haftfaden = Opus anglicanum = England manchmal etwas zu eifrig für Goldstickereien aus Kontinentaleuropa verwendet wird.
Neben der Beschreibung der ursprünglichen Ausgrabungen im frühen 20. Jahrhundert enthält die Publikation auch sehr gute Kapitel über mittelalterliche Textiltechniken (Weben, Fingerflechten und Brettchenweben). Ein weiteres Kapitel vergleicht die Funde aus Speyer mit zeitgenössischen Funden aus anderen Ländern. Die Kapitel über die wissenschaftlichen Untersuchungen der Funde sind auch sehr gut. Mit einem ganzen Kapitel über die Goldfäden. Wenn Sie sich für archäologische Textilien interessieren (einige mit Goldstickerei), ist dieses Buch genau das Richtige für Sie. Da das Buch etwas älter ist, kann man es manchmal aus zweiter Hand finden. Möglicherweise können Sie es jedoch über eine Bibliothek beziehen. Literature Herget, M., 2011: Des Kaisers letzte Kleider. Neue Untersuchungen zu den organischen Funden aus den Herrschergräbern im Dom zu Speyer, Historisches Museum der Pfalz Speyer.
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